In Anerkennung seines Einsatzes, in Stuttgart und darüber hinaus sowie als Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland sowie für sein Engagement und Wirken für das Gelingen der gesellschaftlichen Integration, erhält Gökay Sofuoğlu den Stiftungspreis 2017.
Für sein Lebenswerk und damit verbunden für seinen Verdienst um das einander zugewandte Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur, erhält der Gelehrte Prof. Dr. Sadik J. al-Azm† postum den Stiftungspreis 2017.
Aus der Festveranstaltung
Vor dem Hintergrund länderübergreifender Auseinandersetzungen über Demokratie und Meinungsfreiheit fand die Verleihung des diesjährigen Stiftungspreises der Helga und Edzard Reuter-Stiftung in Berlin statt. Stifter Edzard Reuter sagte zu Beginn der Feierstunde im Max Liebermann Haus am Brandenburger Tor, „das Projekt der gesellschaftlichen Integration ist hierzulande bei Weitem nicht gelungen“. Er stellte damit eine Verbindung zu den beiden Preisträgern her, die sich vorbildlich immer wieder erneut allen Widerständen zum Trotz für eine „fruchtbare gesellschaftliche Integration jenseits aller religiösen oder sonstigen Vorurteile“ eingesetzt haben, und die auch dann nicht aufgegeben haben, wenn sie damit keinen Erfolg hatten. Geehrt wurden postum der im Dezember 2016 verstorbene Philosoph Sadik Jalal al-Azm und der Sozialpädagoge und Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu.
Vor der Festrede des Publizisten und Juristen Michel Friedman würdigte Edzard Reuter die Preisträger als herausragende Vorbilder, deren Wirken vom „Vertrauen in eine aufgeklärte Vernunft der Menschen“ geprägt sei, die „ein friedliches und vertrauensvolles Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft“ ermögliche.
Dass dieses Zusammenleben noch immer nicht selbstverständlich sei, machte Edzard Reuter an der aktuellen Auseinandersetzung um die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland fest. „Es geht um unser eigenes Recht, uns vor Versuchen zu schützen, die nichts Anderes bezwecken, als unsere türkischstämmigen Landsleute blindwütig aufzuhetzen“, so Reuter. Und unsere Gesellschaft könne es nicht hinnehmen, sich als Unterstützer angeblicher Terroristen denunzieren zu lassen, nur weil man nicht bereit sei, sich den Wünschen türkischer Politiker zu unterwerfen.
Reuter konstatierte, dass „sich eine Minderheit der hier lebenden Menschen türkischer Abstammung gelegentlich allzu leichtgläubig zu Fieberträumen von einer Wiedergeburt eines großtürkischen Reichs hinreißen lässt“. Ihre Demonstrationen würden sich jedoch „in Wahrheit gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, gegen ein unabhängiges Justizwesen und überhaupt gegen die freiheitlichen Menschenrechte“ richten. Darin würden sich die türkischen Mitbürger nicht von jenen unterscheiden, „die auf manchen unserer Straßen mit der deutschen Fahne in der Hand brüllend ihre überlegene Abstammung und damit ihre abgrundtiefe Dummheit vor sich hertragen“.
Auch die Laudatoren griffen in ihren Würdigungen der Preisträger den Gedanken einer kritischen Selbstbestimmung auf. So pries Laudator Prof. Dr. Dr. h.c. Wolf Lepenies die „ungebrochene innere Freiheit“ und das „souveräne Verhältnis zur Herkunftsreligion“ des syrischen Philosophen Sadik Jalal al-Azm. Der wegen seiner „Kritik des religiösen Denkens“ als „Ketzer von Damaskus“ denunzierte Buchautor ließ sich trotz Inhaftierung und anderer Repressalien in seinem Wirken nie beirren, lobt Lepenies. Und so wie der Preisträger die Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung und das Engagement der deutschen Bevölkerung lobte, so kritisierte er die fehlende Aufmerksamkeit gegenüber den zivilgesellschaftlichen Initiativen in seiner Heimat. Lepenies schloss seine Würdigung al-Azms mit den Worten: „Wer ihn kannte, wird ihn nicht vergessen, einen bedeutenden Philosophen, den Vordenker für einen der Moderne zugewandten Islam, einen syrischen Patrioten, einen mutigen Mann.“
Die Laudatio auf den zweiten Preisträger, den Sozialpädagogen und Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu, kam vom Stuttgarter Bürgermeister Werner Wölfle, der ihn als „eine Marke; ja eine Institution“ beschrieb.
Mit dem von Sofuoğlu betreuten „Haus 49“ habe dieser einen „Prototyp der neuen Stadtteilzentren“ geschaffen, in dem „die gesellschaftliche Integration als Teilhabe und Zusammenarbeit aller Bevölkerungsgruppen im Quartier“ möglich wurde. Sofuoğlu sei ein „politischer Mitgestalter“, der sich in diesem Sinne in unserer Gesellschaft vielfältig aktiv engagiert – in der SPD, der Gewerkschaft Verdi, der Arbeiterwohlfahrt und vielen türkischen Institutionen. „Wenn die Stadt Stuttgart heute in den Medien und der Wissenschaft als die Integrationshauptstadt Deutschlands gehandelt wird, dann ist Gökay Sofuoǧlu einer ihrer Architekten“, so Wölfle weiter.
Als Landesvorsitzender der Türkischen Gemeinde und auch bereits zuvor, habe Sofuoǧlu stets vor einer Spaltung der Gesellschaft in der Türkei gewarnt, aus der er einst als politisch Verfolgter nach Deutschland geflohen war. Auch hier bleibt er „unbequem und macht sich in der türkischen Community nicht nur Freunde“, so Wölfle weiter. Die „passive Haltung abzuschütteln und sich aktiv einzubringen auf Grundlage der Menschenrechte, aber auch der Bürgerpflichten, die Kernelemente unserer demokratischen Zivilgesellschaft sind“, seien für den Preisträger die Triebfedern seines Engagements, hob der Laudator hervor und lobte, mit der Preisverleihung an Gökay Sofuoǧlu habe die Helga und Edzard Reuter-Stiftung „einen wichtigen Impuls im Sinne ihrer Stiftungsziele gesetzt“.